Giorgio Armani ist tot – und plötzlich fühlt sich Mode ganz still an
Es gibt Nachrichten, bei denen sogar mein notorisch chaotischer Kleiderschrank kurz salutiert. Heute ist so ein Tag. Giorgio Armani, 91, ist am Donnerstag in Mailand gestorben – und seit gestern strömen Tausende zum Armani/Teatro, um sich zu verabschieden. Während ich diese Zeilen tippe, denke ich an meinen allerersten Blazer, der so tun musste, als wäre er Armani. Kleines Geheimnis: Er war’s natürlich nicht. Aber er hat mir das Gefühl gegeben, als könnte ich jeden Raum im Zeitlupen-Walk betreten. Genau das war Armani: nicht nur Kleidung, sondern Haltung.
In Mailand war es am Wochenende spürbar: Laternenlicht, weiße Rosen auf dem schlichten Holzsarg, leises Piano – eine Bühne der Stille in einer Stadt, die sonst Espresso-schnell unterwegs ist. Modemacher, Filmstars, Sportgrößen und ganz normale Menschen standen Schlange, um „Grazie, Giorgio“ zu sagen. Und am Montag will die Stadt einen offiziellen Trauertag begehen. Ich stelle mir vor, wie sogar die Schaufensterpuppen kurz die Schultern fallen lassen.
Mailand trägt Schwarz – und ich erinnere mich an meine erste „Anprobe“
Meine persönliche Armani-Geschichte beginnt in einem Umkleidekabinen-Drama der frühen 2000er. Es war Sommer, zu warm, zu wenig Budget, zu viel Selbstüberschätzung. Ich schlüpfte in einen dunkelblauen Blazer mit weichem Schulterbau – und zack, ich fühlte mich wie die erwachsene Version von mir, die pünktlich Mails beantwortet und Visitenkarten besitzt. Armani hat die Sakkos entsteift und gleichzeitig uns entkrampft. Plötzlich mussten Anzüge nicht mehr brüllen, sie konnten flüstern – und waren trotzdem Chef im Raum.
Das Besondere? Seine Sachen altern nicht, sie reifen. Ein Armani-Blazer in 20 Jahren ist kein „Vintage“, er ist einfach immer noch richtig. Ich wette, in Mailand standen gestern Menschen in Jacken an, die älter sind als ihre Smartphones. Und jede Naht erzählte eine kleine Erfolgsgeschichte: das Vorstellungsgespräch, das geklappt hat; der erste rote Teppich; das „Ich kann das“-Gefühl im Spiegel.
Zwischen weißem Rosenduft und Schneiderkreide: ein Abschied mit Substanz
Die Bilder aus dem Armani/Teatro wirken wie sorgfältig gesetzte Nähte: nichts Lautes, nichts Schrilles, nur elegante Zurückhaltung – genau sein Stil. Donatella Versace legte Blumen nieder, die Mailänder Prominenz verneigte sich, und man sah viele Menschen in stiller Uniform: Dunkelblau, Schwarz, dezente Silhouetten. Es ist, als hätte die Stadt ihren Dresscode gefunden: Respekt in Stoff übersetzt.
Und ja, es passt (pun intended), dass seine letzte große Idee ein Jubiläums-Laufsteg zum 50. Markenjahr war. Bis zuletzt gearbeitet – das Wort „Ruhestand“ hat er offenbar genauso selten getragen wie grelle Logos. Stattdessen: Disziplin, Feinheit, diese fast stoische Souveränität, die man bei jedem Knopfloch spürt. Während ich das schreibe, liegt ein Maßband neben der Tastatur. Ich hab’s eben aus reiner Sentimentalität auf den Tisch gelegt, als wäre „Maß nehmen“ ein kleines Ritual gegen das Vergessen.
Warum Armani mehr war als Mode – und was bleibt
Modegrößen, Hollywood, Sport – alle sagen „Danke“. Verständlich: Armani hat Hollywood-Outfits mitdefiniert, Business-Looks entnervt, Red-Carpet-Codes entgiftet. Und für Mailand war er mehr als ein Designer; er war ein Stück Stadtsilhouette. Museum, Showspace, Hotels, Plakate – selbst am Flughafen grüßt Emporio. Wer jemals in dieser Stadt aus einem Taxi stieg, hat Armanis Schriftzug wahrscheinlich öfter gesehen als den eigenen Nachnamen im Türsummer.
Was bleibt, ist dieses Gefühl von „Ich bin angezogen, nicht verkleidet“. Wenn ein Kleidungsstück dich nicht lauter macht, sondern klarer – dann ist das eine Form von Freundlichkeit. Vielleicht deshalb tragen heute so viele Menschen seine Sachen, um Tschüss zu sagen: Man verabschiedet sich im Vokabular desjenigen, der einem das Sprechen beigebracht hat.
Mein kleiner, großer Moment für den Maestro
Ich hab vorhin den alten Pseudo-Armani-Blazer nochmal übergeworfen. Er kneift inzwischen an Stellen, die damals noch Zukunftsmuskel hießen. Aber einen Kaffee später stand ich vorm Spiegel und dachte: „Okay, Giorgio, ich sehe den Punkt.“ Wir alle haben diesen einen Look, der uns zusammenhält, wenn der Tag versucht, auseinanderzufallen. Für mich war das der weiche Blazer, der sagt: „Keine Show, nur Substanz.“
Also ja: Mailand trauert, die Modewelt trauert – und mein Kleiderschrank, der alte Romantiker, macht heute Abend die Lichter leiser. Danke für die stillen Revolutionen, Signor Armani. Für Schultern, die nicht schreien. Für Farben, die atmen. Für Kleidung, die uns nicht erklärt, sondern versteht.
P.S.: Wenn ihr heute euren Lieblingsblazer anzieht, macht den oberen Knopf zu und eine Erinnerung auf. Das ist vermutlich die eleganteste Schweigeminute, die man im Alltag hinbekommt.
Quellen (verifiziert, unabhängig): Reuters-Bericht: Tausende nehmen in Mailand Abschied von Giorgio Armani · AP News: Stars und Fans erweisen Armani die letzte Ehre im Armani/Teatro · Newsweek-Liveticker: Bestätigung des Todes durch die Armani Group und internationale Reaktionen






