Ich shoppe, also bin ich … gestresst?
Neulich treffe ich eine Freundin nach der Arbeit – sie stürzt völlig übermüdet, halb mit Laptop, halb mit Croissant in der Hand auf unseren Café-Stuhl und sagt als erstes: „Diese Woche hab ich sooo viel geshoppt.“ Ich? Ich nicke verständnisvoll, schlürfe meinen Haferlatte und denke an meinen eigenen virtuellen Warenkorb, der inzwischen mehr Inhalt hat als mein Kühlschrank.
Der Klick auf „Kaufen“ ist mittlerweile mein Äquivalent zum tiefen Durchatmen. Andere machen Yoga. Ich klicke mich durch Rabattaktionen. Willkommen im digitalen Zeitalter der Retail Therapy.
Warum wir zu Klick-Süchtlingen werden
Unsere Handys machen’s möglich: Shopping-Apps, PayPal-Klicks, „Später zahlen“-Modelle – die Verlockung, sich mit einem Kauf zu belohnen, war nie größer. Und Hand aufs Herz: Dieses kleine Hochgefühl nach dem Bestellen? Unschlagbar! Unser Gehirn – speziell das limbische System – dreht komplett am Rad und schüttet Dopamin aus, als gäb’s kein Morgen mehr. Hurra!
Nur… kommt der pain of payment eben später. Der kleine Schmerz, der uns früher beim Blick ins leere Portemonnaie ereilte, wurde durch Apps und Zahlungsmodelle schön weichgespült. Die Quittung kommt irgendwann – meistens dann, wenn das Minus auf dem Konto die eigene Laune wieder unter null bringt.
Online-Shopping ist das neue Scrollen
Ich habe letztens beschlossen, Social Media zu reduzieren. Gute Idee, dachte ich. Leider habe ich die gewonnene Zeit einfach mit Online-Shopping ersetzt. Da fühlt man sich direkt produktiv: Statt Influencer-Leben zu bestaunen, bestelle ich den Hoodie, den die ohnehin tragen. Ganz neues Level von Effizienz, was?
Statistiken lügen nicht: Immer mehr Leute kaufen online – und zwar regelmäßig. Besonders die Jüngeren sind „Heavy Shopper“, also quasi digital auf Shopping-Dauerlauf. Fast jede:r Zehnte unter 30 bestellt täglich online. Täglich! Ich frage mich manchmal, wie wir je ohne Same-Day-Delivery überlebt haben.
Was triggert eigentlich unsere Kauflaune?
Ich hab mich mal selbst beim Shoppen beobachtet (also zwischen Kerzenständer-Vergleich und Lieferzeit-Kalkulation): Eigentlich habe ich oft gar nichts „gebraucht“. Ich war nur in einem Meeting gefangen, hatte miese Laune oder mir war stinklangweilig. Und da ist es doch einfacher, einen neuen Pulli in den Warenkorb zu legen, als die Steuererklärung zu machen (oder mich mit meinen Emotionen).
Apps arbeiten clever: Sie erinnern uns per Push-Benachrichtigung, dass der Lieblingslippenstift nur noch heute 30% günstiger ist. Und zack – hat man wieder ein Teil gekauft, das sich zum Rest der ungeöffneten Pakete stapelt. Gamification macht’s möglich – Einkaufen fühlt sich an wie Candy Crush, nur teurer.
Shop until… der Kontostand schreit
Aber jetzt mal ehrlich: Wann ist’s eigentlich zu viel? Ich hab mich gefragt: Shoppe ich, weil ich wirklich etwas brauche? Oder weil es mir gerade nicht so gut geht? Die Antwort war öfter die zweite Variante. Und das ist so ’ne Art Schleichweg in die emotionale Abhängigkeit vom Kauf-Kick. Auf Dauer nix Gutes. Vor allem, wenn das schlechte Gewissen sich schneller meldet als die Versandbestätigung.
Zurück zur (Kauflust-)Kontrolle
Ich habe ein paar Tricks ausprobiert, um wieder selbst das Ruder über meine Einkäufe zu übernehmen. Hier meine Favoriten:
- Warenkorb-Pause: Ich lege alles erstmal rein, schließe die App – und schlaf ’ne Nacht drüber. Am nächsten Morgen wirkt der Teppich mit Zebramuster meistens nicht mehr ganz so lebensnotwendig.
- Fragen stellen: „Würde ich das meiner besten Freundin gegenüber rechtfertigen können?“ Wenn die Antwort nein ist – raus damit.
- Shopping-Listen: Wie beim Supermarkt. Wenn’s nicht draufsteht, wird’s nicht gekauft. So einfach. (In der Theorie zumindest.)
- Budget setzen: Ich nutze eine App, die mir nach jedem Einkauf sagt: „Du hast diesen Monat schon 84% deines Budgets verbraucht.“ Tut weh – hilft aber.
- Sich bewusst was gönnen: Achtsamer Konsum heißt nicht „nie mehr Schuhe kaufen“ – sondern bewusster. Lieber ein Teil, das ich liebe, als fünf, die rumliegen.
Fazit: Mein Warenkorb ist nicht mehr mein Therapeut
Das Leben ist manchmal anstrengender als ein IKEA-Regal ohne Anleitung – aber shoppen sollte keine Flucht sein. Sobald wir unseren Konsum bewusst wahrnehmen und hinterfragen, haben wir ihn wieder selbst in der Hand (oder zumindest in der App).
Ich shoppe immer noch – aber heute shoppe ich bewusster. Und ganz ehrlich? Das fühlt sich fast besser an als der nächste Rabattcode.
Quellen: GfK-Umfrage im Auftrag von Mastercard, McKinsey Consumer Research, Interview mit Prof. Dr. Kristina Klein





