Zwischen Raketenhagel und WhatsApp-Nachrichten an Mama
Ich könnte jetzt sagen, ich hätte mir diesen Beruf gut überlegt. Das wäre gelogen. Es ist eher so gewesen: Wohnung gekündigt, Rucksack gepackt, ab nach Griechenland. Nicht gerade das Karriere-Coaching, das man sich vorstellt, oder?
Damals hatte ich genug davon, Schlagzeilen zu schreiben, die mehr auf Klicks ausgelegt waren als auf Wahrheit. Ich wollte nicht, dass mein Herz für menschliche Geschichten schlägt und der Algorithmus dafür nur ein müdes Scrollen übrig hat. Also habe ich mich auf den Weg gemacht. Mit Kamera, Notizbuch und – ja – ziemlich viel Naivität.
Burn-out heißt heute „Recherchepause“
Es hat Jahre gebraucht, bis ich kapiert habe: Auch eine Reporterin aus Stahl braucht mal ’ne Pause. Das wurde mir spätestens dann klar, als ich mitten in einer Doku über Rechtsextremismus in Ostdeutschland schlichtweg zusammenklappte – mental, versteht sich. Kein dramatisches Hollywood-Koma, aber immerhin genug, um mal durchzuatmen. Körper und Seele sagten kollektiv: „Schluss jetzt, du bist kein Roboter.“
Triggerwarnung: Realität
Was macht das eigentlich mit einem, wenn man ständig von Gefechten, Leid und gebrochenen Menschen berichtet? Komischerweise – oder vielleicht gerade deshalb – war ich im Funktionsmodus. Emotionen? Gibt’s später im Flugzeug. Aber wehe, man liegt dann abends in seinem Bett. Dann klopft das Erlebte an wie ein alter Freund, den man verdrängt hat. Spoiler: Der bringt keine Pralinen mit.
„Komm Sophia, wir haben Essen“
Ich war in Idomeni. Ein Flüchtlingslager auf der griechisch-mazedonischen Grenze. Die Leute hatten nichts. Also wirklich nichts. Und trotzdem bekam ich da Essen angeboten. Herzschmerz inklusive. Wenn du mitten in solchen Situationen steckst, verlierst du den Glauben an politische Zusammenhänge, aber nie den an Menschlichkeit. Verrückt, oder?
Explosionen, Adrenalin und ein kaputtes Datenvolumen
Dann war da noch die Geschichte mit dem Raketenangriff in der Ukraine. Wir dachten, der Dreh sei durch. Haha. Denkste. Erste Rakete – ich zück mein Handy (ja, ich weiß…). Zweite Rakete – ich frage mich, ob wir ein Schutzschild in Witzform brauchen. Unser Fahrer brettert los wie Vin Diesel. Die Rakete schlug etwa 100 Meter neben uns ein. Ich war dem Tod wahrscheinlich näher als dem nächsten Espresso.
„Du bist die Dolmetscherin, oder?“ – Nope.
Afghanistan. Taliban. Und ich. Spannende Kombi. Einer der Männer hat konsequent an mir vorbeigesehen. Ich war Luft, nur mein männlicher Übersetzer bekam Aufmerksamkeit. Und doch gab’s in vielen Ländern Respekt – auch als Frau. Ja, es ist ein Männerclub, dieser Beruf. Aber ich hab mir diesen „Ich-bin-unkaputtbar“-Habitus antrainiert. Schwäche zeigen? Vielleicht beim Weinen zu Disney-Filmen, nicht im Interview mit Gotteskriegern.
Warum macht man sowas?
Gute Frage. Ist nicht gerade Wellnessurlaub, das Ganze. Aber wenn man Menschen trifft, die trotz unfassbarem Leid Würde, Solidarität und Liebe zeigen, dann willst du diese Geschichten erzählen. Nicht aus Sensationssucht, sondern weil es wichtig ist, hinzusehen. Auch in einem Klima, in dem Empathie manchmal wie ein alter Schinken in der Sonne schimmelt.
Empathie ist nix für Anfänger
Ich versteh euch, wenn ihr sagt: „Ich kann das nicht mehr hören, diese Kriege, dieses Leid.“ Aber vielleicht reicht’s ja, die Nachrichten einmal am Tag zu checken. Oder mein Buch in Etappen zu lesen – ganz ohne mentalen Kollaps. Die Welt geht nicht weg, nur weil wir wegsehen. Leider.
Und jetzt?
Ich bin noch immer unterwegs. Ich erzähl Geschichten, die wehtun. Aber auch welche, die Hoffnung machen. Und zwischendrin ruf ich meine Mama an. Damit sie weiß: Ich lebe noch. Und ich bleibe dran – mit einem Herz aus Drahtseil.
Quelle: „Herz aus Drahtseil – Eine Kriegsreporterin über verlorene Menschlichkeit und die Doppelmoral des Westens“ von Sophia Maier, Komplett Media




